Lisa Fitz erweist sich bei ihrem Auftritt in der Eislinger Stadthalle als Kabarettistin alter Schule und nimmt kein Blatt vor den Mund.
Die „3 B“ sind der aktuelle Zeitgeist: „Blutleer, betroffen, beleidigt“. Und als ob dieser Finger in der klaffenden Wunde der Gegenwart nicht schon schmerzhaft genug wäre, macht LisaFitz nach eben jener Feststellungalles noch viel schlimmer –indem sie die Besucher während ihres Programms „Dauerbrenner“ mitnimmt in andere Zeiten. Denn, wie es sich für ein Jubiläumsprogramm gehört, gibt’s natürlich auch jede Menge Rückschau. Und die ist prall voll mit Leben, sowie Lisa Fitz selbst, bei ihrem Auftritt in Eislingen, genau eine Woche nach ihrem Siebzigsten.Streitbar, offen, höchst lebendig. „Ihre Beispiele sind so zahllos wie eindrucksvoll. Vom lahmen „Mein Herz schlägt schneller als deins“ aus den aktuellen Charts, dem sie „She loves you –yeah –yeah –yeah“ aus den Sechzigern entgegensetzt, bis zu den Berichten von den heutigen „Online-Mikroben mit ihren dauerbeleidigten Followern“. „Sprach- und Denkpolizei mit politischem Maulkorb funzt bei mir nicht“, stellt sie unmissverständlich klar und bleibt ihrer Linie treu. Dass sie damit einen Nerv trifft, zeigte die vollbesetzte Eislinger Stadthalle, die unter normalen Bedingungen noch voller gewesen wäre. Eingeleitet hatte Fitz den Abend mit einer etymologischen Herleitung und Definition des Begriffs Kabarett. In der Folge machte sie eindrucksvoll deutlich, was Kabarettist, oder zumindest was es einmal war – vor den moralin-sauren, nervenden Oberlehrern moderner Prägung. „Immer gegen den Strom der Zeit“, giftig, klar und pointiert dorthin stechend, wo es richtig weh tut. „PC“ (Political Correctness) mache Kabarett kaputt, sagt sie. Auch wer inhaltlich bei manchem komplett anderer Meinung sein mag, muss feststellen, dass sie ein Leucht-turm ihres Genres ist. Sie hat etliche Lieder aller Art im Gepäck, auch die, mit denen sie Geschichte geschrieben hat. Etwa, einen Song, den sie einst im Bayerischen Rundfunk vor einem überraschten Publikum uraufge-führt hatte, und indem sie alle Unflätigkeiten verarbeitete, die sie erreichten, nachdem sie einen Perser geehelicht hatte. Und auch wenn das, was Oswalt Kolle einstmals viel beachtet in die Abendvorstellungen der Kinos brachte, heute kurz nach dem Frühstücksfernsehen laufe, sei seinerzeit doch mehr los gewesen. „Wer sich an die 70er erinnern kann, hat sie nicht erlebt“, sagt sie mit Blick auf exzessive Experimente mit Drogen, Musik und dem anderen Geschlecht. Tinnitus sei keine Krankheit, sondern Ehrensache gewesen. Auch Fitz folgt dem ungeschriebenen Gesetz bayrischer Kabarettisten, ihre CSU-Traumata als Teil ihres Programms auf-zuarbeiten. Dennoch zollt die Tochter des ersten Strauß Imitators am Nockherberg auch dem politischen Gegner Respekt. Franz Josef Strauß habe im Vollrausch intelligentere Interviews gegeben als Jens Spahn stock-nüchtern.
Mit der „katastrophalen Coronapolitik“ hadert sie arg. Überhaupt: Politiker haben bei ihr keinen leichten Stand. Dass Kultur als „nicht systemrelevant“ eingestuft wurde, dürfte seinen Teil dazu beigetragen haben. Wäre die Welt, wie seinerzeit befürchtet, am 1.1.2000 untergegangen, wären uns nicht nur Katastrophen wie 9/11 erspart geblieben, sondern auch Karl Lauterbach, sagt sie an diesem Abend. Doch nicht nur die Kulturbranche habe gelitten, auch der Einzelne: „Lockdown: Lebendfalle Ehe“. Gerade durch die Rückschau war das Programm höchstaktuell. „Wir sind Gretchen, nicht Greta“, sagt sie in Anspielung auf Goethes Faust: „Es war die Art zu allen Zeiten, Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.“
Quelle: NWZ Göppingen vom 24.09.2021, Artikel von Axel Raisch