WESTHOFEN. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Gedanken die Welt erschaffen, und mit messerscharfer Beobachtungs- und Darstellungsgabe führt Lisa Fitz ihrem Publikum das immer wieder vor. Was wir denken, macht uns aus, und zum Glück gibt es klassisches Kabarett wie das von Frau Fitz, das den humanen Denkapparat fit hält. Oder, wie sie selbst sagt: „Das Gehirn mag lernen, und es wird nicht weniger, wenn man es benutzt.“ Und so schöpft sie für ihr Programm „Flüsterwitz“ aus einem enormen Wissen und profunder Bildung, um das politische, soziale und mediale Alltagsgeschehen mit seinen zahllosen Absurditäten vorzuführen. Natürlich bekommen Politiker, die Wirtschaft, die Medien und auch die Männer mit großartigen Wortschöpfungen ihr Fett weg, wie beispielsweise „es gibt Fernsehsendungen, die sind Massenverblödungswaffen“ oder „Germany’s next top-trottel“, und die bedenkliche Situation in der Welt führt sie zu der Überlegung, dass Gott wohl einen Burnout haben müsse.
Mutig war sie schon immer, und es ist in Zeiten von offensichtlichem gedanklichem Opportunismus sehr wohltuend, diese kabarettistische Urgewalt zu erleben. Rund zwei Stunden hielt sie ihr Publikum bei höchster Aufmerksamkeit, in direktem Kontakt durch einen gemeinsamen Warm-up, über Fragestellungen zum Thema Mut und Angst sowie durch ihre warmherzig-raue Art und die Songs mit ihrer bunten Gitarre. Vom politisch-ironischen Ländler mit Jodeln, über Rock und Peking-Oper, den ergreifend interpretierten Klassiker der Friedensbewegung „Die weißen Tauben sind müde“ bis zu „Die Gedanken sind frei“ am Ende, mit Gänsehautgefühl gemeinsam mit dem Publikum gesungen, reichte das Spektrum. Das Thema „Angst“ und die rund 650 weltweit gelisteten Phobien boten reichlich Stoff für Betrachtungen und Querverweise, gekrönt von der Erklärung der „Allodoxaphobie“, der Angst vor Diskussionen oder vor einer anderen Meinung. Der Angst steht idealerweise der Mut gegenüber, den Mund aufzumachen, und das tut sie stellvertretend für viele in der Gesellschaft.
Wie gerne findet man als Publikum die eigene Meinung im Kabarett gespiegelt, hat aber im Alltag keine Gelegenheit dazu, diese anzubringen. Wirklich nicht? Das ist die Frage, die Fitz indirekt fortwährend stellt, denn welchen Sinn hätte Kabarett, wenn es nicht Handlungsimpulse enthielte? Ansonsten wäre es nur hochintelligente, aber letztlich sinnlose Unterhaltung gewesen für die 110 Gäste, die im Innenhof von „Gut Leben“ Platz gefunden hatten. Aufgrund der starken Nachfrage hatte Veranstalter Stefan Spies unter höchsten Sicherheitsauflagen die maximale Kapazität möglich gemacht, indem die in Zehner-Gruppen mit Abstand platzierten Personen während des gesamten Abends die Masken aufbehielten. Für die Künstlerin war die Situation nur ganz kurz befremdlich, dann, so Fitz, „haben mir mehr die Leute leidgetan, die die ganze Zeit mit der ‚blöden‘ Maske sitzen mussten. Der Veranstalter wollte auf Nummer sicher gehen, und alle haben brav mitgemacht. Es war letzlich alles halb so wild, die Stimmung war gut, und es war wirklich schön, dort in dem lauschigen Innenhof aufzutreten, und ich finde es toll, dass Stefan Spies so etwas möglich macht.“ Das neue Programm von Lisa Fitz wird im März 2021 zu erleben sein mit dem Titel „Dauerbrenner – das große Jubiläumsprogramm“. Wer weiß – vielleicht sogar auch wieder in Westhofen? Zu wünschen ist es.
Quelle: Wormser Zeitung vom 01.09.2020, Artikel von Viktoria Selbert